Gedanken zur Nächstenliebe

Gedanken zur Nächstenliebe

Wie es ist, zu teilen

Ich besitze 14 Sets Bettwäsche und bin noch nie geflohen. Deshalb liegen die Laken wohlsortiert im Wäscheschrank. Wer aus Syrien kommt, hat meistens keine Bettwäsche dabei. Jedenfalls denke ich mir das so, weil Bettwäsche sperrig ist und nicht überlebens-notwendig. Ich habe also einen Bettwäschenüberschuss, jemand anderes ein Defizit, wir könnten uns treffen und die Sache auf kurzem Wege ins Lot bringen.
In meiner Stadt geschah es so. Eine Tageszeitung veröffentlichte eine Liste der Dinge, die den vielen Flüchtlingen fehlen. Während im Politikteil noch darüber diskutiert wurde, wie mit den Flüchtlingsströmen umzugehen sei, strömten Hunderte in die Zeitungsredaktion und brachten, was gebraucht wurde.
Ich bin sicher, diese Geschichte ist nicht einzigartig. Deshalb erzähle ich sie. Sprache schafft Wirklichkeit. Wer nur von angezündeten Flüchtlingsunterkünften liest, kann sich irgendwann nichts anderes mehr vorstellen. Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Manche haben, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. Flüchtlinge sind keine Engel. Aber sie sind Menschen. Sie sind keine besseren Menschen, aber auch keine schlechteren. Sie tun das, was ich wahrscheinlich genauso täte, wäre ich nicht in einem Land mit Bettwäscheüberschuss geboren. Sie suchen nach einem besseren Leben. Abraham war Wirtschaftsflüchtling. Naomi, die Schwiegermutter Ruths, floh ins Nachbarland, um Arbeit zu finden. Das wären heute alles keine anerkannten Asylgründe. Und ob Mose, mit Totschlag im Gepäck, Asyl erhalten würde, ist ebenso fraglich. Gott war immer mit diesen Leuten. Ach ja, bleibt noch Jesus. Ebenfalls Asylant in seinen ersten Lebensjahren. Hätte Ägypten seine Familie nicht aufgenommen, wäre seine Laufbahn als Gottessohn möglicherweise beendet gewesen, bevor sie richtig begonnen hat. So gehen die Geschichten, auf die wir uns als christliches Abendland berufen. Wenn das mehr als romantische Märchen sind, dann sollten wir wenigstens für einen Moment in jedem Syrer Jesus sehen und in jeder Albanerin Naomi. Das löst die Flüchtlingsfrage nicht. Aber es erinnert uns daran, dass zunächst ein Mensch vor uns steht, kein Problem.

gekürzt aus “Mut ist… Kaffeetrinken mit der Angst” von Susanne Niemeyer.

Liebe Geschwister, angesichts der Naturkatastrophen auf der Welt (Erdbeben in der Türkei und Syrien) und den Kriegen vielerorts, lasst uns nicht vergessen, dass hinter jedem Schicksal in erster Linie ein Mensch steht, der unsere Achtung und Hilfe braucht.